Ja, ein Paradox. Denn trotz vertiefter interpretatorischer Einsichten sollte sich das Interesse doch endlich auch auf Zeitgenössisches richten – Beethoven stand keineswegs allein. Im Gegenteil: Wer einmal am musikgeschichtlichen Denkmal vorbeischaut, wird alsbald viele Fragen stellen und doch kaum Antworten bekommen: Was hat er eigentlich in Wien gehört, welcher Konkurrenz hatte er sich zu stellen?
Hier setzt mit neu nebeneinandergestellten Werken die Berliner Akademie für Alte Musik an (harmonia mundi), noch einen Schritt weiter geht Reinhard Goebel mit der Reihe „Beethoven’s World“, in der bisher konsequent kein Beethoven zu hören ist. Nach den Violinkonzerten von Franz Joseph Clement sind es nun zwei ungewöhnliche Cello-Doppelkonzerte, die stilistische Alternativen aufzeigen. Während das von Bernhard Romberg (1840) aus einer späteren Zeit stammt und zur unterhaltsamen Terzen-Süffigkeit neigt, zeigt sich Anton Reicha (1805) imposant und experimentell: nicht nur in der Wahl der Ton-
art (e-Moll) und mit einer Spielzeit von nahezu 40 Minuten, sondern auch in der harmonischen Disposition des Kopfsatzes geradezu sinfonisch. Mit den beiden Solisten der Berliner Philharmoniker ein klanglicher Hochgenuss, zumal Goebel als aufführungspraktisch informiertes Urgestein sich mit der verkleinerten Radio Philharmonie recht pragmatisch gibt. Auch die Eybler-Zugabe (ein Divertissement für Faschingsdienstag) stammt aus dem starken Eroica-Jahr.
Michael Kube