Die 1983 in Houston uraufgeführte und drei Jahre später für die Aufführung in Wien umgearbeitete Oper hat viele musikalische Reize. Unverkennbar ist Bernsteins Personalstil mit spannungstreibenden Elementen, kleinen, sich wiederholenden Motivfetzen, mal keck, spritzig, herb oder auch schwer und tragisch. Jazz- und Musicaleinflüsse sowie Anklänge an europäische Stile sind völlig überzeugend und bruchlos in die eigene Sprache integriert. Auch darin zeigt sich Bernstein als Suchender nach der „amerikanischen“ Oper – mit dogmatischen Klangverboten würde sich das nicht vertragen. Da kann der swingend gezupfte Bass dann schon mal in einen wahnsinnig romantischen Orchestersound übergehen (Nachspiel zum ersten Akt).
Die vorliegende Aufnahme bedient sich einer Fassung, die nicht von Bernstein selbst stammt, sondern für ein kleines Orchester von 18 Musikern adaptiert ist. Dadurch gewinnt das Stück noch mehr die Atmosphäre eines Kammerspiels, zumal Kent Nagano und die Musiker aus Montreal vorzüglich zu Werke gehen. Lucas Meachem und Gordon Bintner mit intensiven und höchst flexiblen Baritonstimmen sowie Claudia Boyle als Tochter mit angenehm metallischem Koloratursopran ragen aus dem sehr guten Ensemble heraus. Das Libretto und Erläuterungen zur Aufnahme gibt es nur in Englisch mit französischer Übersetzung.
Johannes Schmitz
Gordon Bintner | Bernstein : A Quiet Place
„A Quiet Place“ ist eine Konversationsoper, die eine amerikanische Familie in einer Extremsituation vorstellt: Die Mutter hat sich vor ein Auto geworfen, was im Vorspiel gezeigt wird. Der Mann und die beiden erwachsenen Kinder bleiben zurück, ebenfalls der Ehemann der Tochter, der zugleich der Liebhaber des nervlich völlig überspannten Sohnes ist. Große Katastrophen oder psychologische Abgründe fehlen der Handlung. Die Grundkonflikte sind etwas undeutlich, eher neurotisch.

Bei unseren Partnern erhältlich als CD oder Download:
Bernstein: A Quiet Place; Boyle, Kaiser, Bintner, Meachem, Belcher, Rosen u. a., Chœur et l‘Orchestre symphonique de Montréal, Kent Nagano (2017); Decca (2CDs)