Cecilia Bartoli
Vieles bleibt im Dunkeln
Lange war es ein Geheimnis, das neue CD-Projekt von Cecilia Bartoli. Jetzt wissen wir: Es gilt Agostino Steffani (1654-1728), einem kaum bekannten Komponisten mit einer schillernden Vita, die sogar die Krimi-Autorin Donna Leon zu einem neuen Roman inspirierte. Von Reinmar Wagner.
Es sind Cecilias ausdrucksvolle Au gen, kein Zweifel, die aus dem Gesicht eines glatzköpfigen Mönchs vom CD-Cover blicken. Das Kreuz hält er in fanatischer Geste dem Zu schauer entgegen: Er hat eine Mis sion. Für Agostino Steffani hieß sie Ge gen re formation, für Cecilia Bartoli heißt sie Wiederentdeckung eines hochinteressanten Komponisten der Barock zeit.
Wie er wirklich ausgesehen hat, wissen wir nicht sicher. Und vieles von dem, was dieser Steffani als Diplomat, Agent, Spion und Missionar in die Hand genommen hat, können wir nur vage ahnen, sagt Cecilia Bartoli: »Er führte ein sehr ereignisreiches Leben, aber vieles davon bleibt im Dunkeln. Es sind zwar viele Briefe von ihm überliefert, aber die sind oft in Diplomatensprache gehalten, und es ist nicht leicht, zwischen den Zei len zu lesen. Es gibt viele Geheimnisse um Steffani, und die meis ten werden wir wohl nie aufdecken. Es gibt sogar In di zien, dass er ein Kas trat war. Sein Leben ist ein Mysterium.«
Schon dass ein Katholik am protestantischen Hof in Hannover Kapell meister war, erstaunt. Immerhin war er von der Pflicht, Kir chen musik zu komponieren, ausdrücklich befreit. Aber Steffani hat neben seinen diplomatischen Missionen für Han nover auch im Dienst der Kirche und des Vatikan gearbeitet. Er war ein Agent der Gegen re formation, allerdings mit wenig Erfolg. Aber er muss gut infor miert gewesen sein und pflegte ein weit verzweigtes Netz werk an Kon tak ten. Cecilia Bartoli ist überzeugt, dass er auch über den Mord am Lieb haber der Hannovera ni schen Kurprinzessin So phie Dorothea, dem schwedischen Kriegs helden Kö nigs marck, genau informiert war: »Das war damals ein Skan dal, der die Menschen jahrelang bewegt hat. Steffani schreibt, er wisse gar nichts, aber ich bin sicher, er hat alles ganz genau gewusst, und kannte sicher den Abbé Montal ba no, der wahrscheinlich den mörderischen Stoß ausführte. Steffani war sehr präsent und gut in- formiert.«
Es ist das erste Interview, das Cecilia Bartoli zu ihrem neusten CD-Projekt gibt. Sie sprüht nur so vor Erzählfreude, übersprudelt im Eifer, alle die vielen größeren und kleineren Geschichten um dieses Projekt zu erzählen und die Faszination zu teilen für die vielen verschlungenen Wege von Steffanis diplomatischen Missionen und die obskuren Geschichten, die sich um ihn ranken. Sie hat sich ein dickes Dossier zugelegt, das akribisch die Reisen, Taten und Zeug nisse zu dessen Leben auflistet. Aber fast jede dieser Episoden endet mit dem Satz: »Vor allem interessiert mich Stef fa nis Musik. Er war ein großer Komponist wegen seiner Vielseitigkeit. Die Quint essenz des Europäers.« Cecilia Bartoli sagt das mit einigem Recht: Geboren wurde Steffani in Italien, verbrachte fast sein ganzes Leben in Deutschland und hatte kurz in Paris studiert. In seiner Musik kombinierte er diese Elemente – italienische Opern- und Oratorientra-dition, französische Instrumental-, Ballett- und Tanzmusik, deutscher Kon-tra punkt.
Neben Steffanis Vielseitigkeit überraschen vor allem auch seine Fähigkeiten in der Orchestrierung und der Behand lung der Instrumente. Sehr oft stellt er der Gesangsstimme ein solistisches Be gleitinstrument zur Seite: Die Solo trom pete schmettert in kriegerischen Stücken, die Theorbe begleitet melancholische Lamenti, die Gambe setzt sparsame Akzente in verinnerlichter Melancholie. Steffani war ein Meister des Duetts. Seine Duetti waren neben einigen Instrumentalstücken die einzigen seiner Werke, die im Druck erschienen, und sie haben nicht nur seinen Ruf als Musiker begründet, sondern auch Komponisten wie Händel oder Tele mann nachhaltig beeinflusst. Auch in seinen Opern schrieb er grandiose Duette: Vier davon hat Cecilia Bartoli mit Philippe Jaroussky auch in diese CD aufgenommen.
Steffanis Arien sind in ihren Struktu ren noch nicht fix, es gibt den Schema tismus der Da-capo-Arie noch nicht. Zwar versammelt Cecilia Bartoli auch auf dieser CD einige jener hochvirtuosen Koloratur-Feuerwerke, die man von ihr einfach erwartet. Aber es finden sich auch ganz andere Stücke, Lamenti etwa mit viel Legato und ausdrucksvollen Pianolinien voller Melancholie. Dann wieder Tanzliedchen, die ihre Ver wandt schaft mit Lullys Opern offen zeigen, oder auch humoristische Stücke, wo etwa die Musik mit dem müden Prota gonisten einfach einschläft. »Steffani war bestimmt ein witziger und sehr geistreicher Mensch«, sagt Cecilia Barto li voller Überzeugung. »Und das sind doch Dinge, die man zeigen muss, die man den Leuten näherbringen muss. Dieser Komponist hat mich in eine Welt geführt, die eine absolut wunderschöne Entdeckung für mich geworden ist.«
Und ihre Begeisterung überträgt sich auch auf ihre neuen musikalischen Part ner, Diego Fasolis und seine Barocchisti: »Das Einzige, was sich bereue, ist, dass ich nicht schon früher mit ihm zusammengearbeitet habe. Diego ist ein so raf finierter Musiker und hat ein bestechendes Gefühl für Rhythmen, Kontras te und Phrasierungen. Und seine Baroc chis ti sind außergewöhnliche Musiker, die mit Verve eine große Liebe zu diesem Repertoire pflegen.«
Reingehört
»Mission« ist eine Demonstration von Vielseitigkeit – von allen Seiten: von Agostino Steffani, der in seinen Opern ganz offensichtlich die interessan-tes ten Elemente aus den Musikstilen seiner Zeit kombinierte, und von Cecilia Bartoli, die hier nicht nur das virtuose Koloratur-Feuerwerk abbrennt, sondern mit der gleichen Souveränität und Subtilität auch Linie, Legato und Sprache pflegt.
Mission; Cecilia Bartoli, Philippe Jaroussky, I Barocchisti, Diego Fasolis (2012); Decca/Universal CD 0028947847328
